Suffizienz Als Gesellschaftsmodell
Suffizienz ist die Orientierung an Genügsamkeit, wie sie bereits in der Philosophie der Antike oft diskutiert wurde. Inwieweit eignet sich diese Einstellung als Modell für eine zeitgemäße Gesellschaft? Der Wirtschaftswissenschaftler Nico Paech und viele andere Denker plädieren dafür, unsere Gesellschaft grundlegend umzudenken und auf eben jenes Modell zu setzen, das auf bewusstem Konsum und einer genügsamen Lebensweise basiert.
Suffizienz bedeutet nicht Verzicht oder Askese, sondern vielmehr ein bewusstes Entscheiden für ein Leben, das auf Qualität statt Quantität setzt. Es geht darum, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu befriedigen, ohne dabei die Grenzen der Umwelt und der Gesellschaft zu überschreiten.
Suffizienz – Ein (altes) neues Modell für unsere Gesellschaft?
Die Gründe für eine (mögliche) suffiziente Lebensweise sind vielfältig:
Umweltschutz: Unser Planet ist überfordert. Ressourcen werden ausgebeutet, der Klimawandel schreitet voran. Suffizienz kann helfen, diese Entwicklung zu stoppen und unsere Umwelt zu schonen.
Soziale Gerechtigkeit: Eine Gesellschaft, die auf Wachstum und Konsum ausgerichtet ist, führt zu großer Ungleichheit. Suffizienz kann dazu beitragen, diese Ungleichheit zu verringern und eine gerechtere Welt zu schaffen.
Mehr Lebensqualität: Weniger Konsum bedeutet nicht weniger Lebensqualität. Im Gegenteil: Menschen, die bewusst leben, sind oft glücklicher und zufriedener.
Autonomie: Wer weniger konsumiert, ist weniger abhängig von externen Faktoren und gewinnt an Autonomie.
Wir leben in einer Welt, die uns ständig mit neuen Produkten und Möglichkeiten überschüttet. Der Konsum ist zum Motor unserer Wirtschaft geworden. Doch birgt dieser unbändige Drang nach mehr nicht auch seine Schattenseiten? Die Umwelt leidet unter der Überproduktion, und unser persönliches Glück scheint oft an den materiellen Besitz gekoppelt zu sein.
Die Idee der Suffizienz bietet eine interessante Alternative. Sie lädt uns ein, innezuhalten und zu hinterfragen, was wir wirklich brauchen, um ein erfülltes Leben zu führen. Ein Leben, in dem wir uns nicht von den ständigen Neuerungen und dem Druck zur Leistungsmaximierung treiben lassen.
Taugt Suffizienz als ein Modell für eine Gesellschaft?
Die Idee einer suffizienten Gesellschaft mag zunächst utopisch erscheinen, doch es gibt bereits zahlreiche Beispiele dafür, dass ein solches Modell funktionieren kann. Gemeinschaftsgärten, Repair-Cafés oder Tauschringe sind nur einige Beispiele für Initiativen, die auf Suffizienz basieren.
Funktioniert Suffizienz auch im großen Maßstab? Könnte eine ganze Gesellschaft auf Wachstum und Konsum verzichten? Das ist eine Frage, die uns beschäftigt. Einerseits scheint es utopisch, sich von einem System zu lösen, das auf Wachstum und Konsum aufgebaut ist. Andererseits zeigen viele kleine Initiativen und Bewegungen, dass es durchaus möglich ist, anders zu leben.
Ein Umschwung hin zu einer suffizienten Gesellschaft würde einen tiefgreifenden Wandel erfordern. Unsere Wirtschaft müsste umstrukturiert werden, unsere Werte müssten neu ausgerichtet werden. Es wäre ein Experiment, ein Wagnis. Aber vielleicht auch die einzige Chance, unsere Umwelt zu schützen und ein wirklich nachhaltiges Leben zu führen.
Doch wie könnte ein solcher Wandel gelingen? Müssen wir alle gleichzeitig auf alles verzichten, um eine Wirkung zu erzielen? Oder reichen schon kleine Schritte, um eine Veränderung anzustoßen? Und wer würde von einem solchen Wandel profitieren? Wer würde darunter leiden?
Diese Fragen sind komplex und erfordern eine breite gesellschaftliche Debatte. Eines ist jedoch sicher: Die Idee der Suffizienz bietet einen wichtigen Denkanstoß. Sie fordert uns heraus, über unseren Lebensstil nachzudenken und uns zu fragen, was uns wirklich wichtig ist. Und vielleicht ist es genau diese Selbstreflexion, die den ersten Schritt zu einer nachhaltigeren Zukunft darstellt.
Wie könnte Suffizienz auf gesellschaftlicher Ebene aussehen?
Um Suffizienz auf gesellschaftlicher Ebene zu verankern, sind tiefgreifende Veränderungen notwendig.
Dazu gehören:
Eine neue Wirtschaftsordnung: Statt auf Wachstum zu setzen, müssen wir eine Wirtschaft entwickeln, die auf Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit ausgerichtet ist.
Eine andere Bildungspolitik: Kinder und Jugendliche müssen lernen, bewusst mit Ressourcen umzugehen und nachhaltig zu leben.
Eine veränderte Politik: Politische Entscheidungen müssen sich stärker an den Bedürfnissen der Menschen und der Umwelt orientieren.
Kritik an der Suffizienz
Natürlich gibt es auch Kritik an der Idee der Suffizienz. Kritiker befürchten, dass eine suffiziente Gesellschaft zu einer Verarmung führt und den wirtschaftlichen Fortschritt behindert. Sie argumentieren, dass Wachstum notwendig sei, um Wohlstand zu schaffen und Arbeitsplätze zu sichern.
Diese Kritik ist nicht unbegründet. Es ist wichtig, die positiven Aspekte des Wachstums nicht aus den Augen zu verlieren. Gleichzeitig muss aber auch klar sein, dass unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten nicht möglich ist. (vgl. Grenzen des Wachstums, Bericht des Club of rome, 1972)
Auf der anderen Seite gibt es inzwischen auch viele Untersuchungen, die ohnehin ein Zusammenbrechen der kapitalistischen Wachstumslogik voraussagen. Dazu mehr in weiteren Texten hier im Blog. Unendliches Wachstum kann es in endlichen Räumen nicht geben, aus mehreren Gründen nicht. Da hilft es auch wenig, dies immer wieder zu behaupten und diese neoliberale Lüge zunehmend wiederholt zu erzählen.
Es gibt also durchaus auch berechtigte Kritik der Kritik an der Suffizienz.
Suffizienz als Ermöglichung
Suffizienz ist kein Allheilmittel, aber sie bietet einen vielversprechenden, zukunftsweisenden und wichtigen Ansatz, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen.
Es ist durchaus an der Zeit, über unsere Konsumgewohnheiten nachzudenken und uns zu fragen, was wir wirklich brauchen, um ein gutes Leben zu führen.
Folgende Aspekte könnten interessant sein, um ganz allgemein mehr darüber nachzudenken.
- Wie könnte eine suffiziente Gesellschaft aussehen?
- Die Rolle des Staates: Welche Rolle sollte der Staat bei der Förderung von Suffizienz spielen?
- Die Bedeutung von Gemeinschaft: Wie können Gemeinschaften dazu beitragen, eine suffiziente Lebensweise zu fördern?
- Die Herausforderung der Globalisierung: Wie kann Suffizienz in einer globalisierten Welt funktionieren?
Vortrag von Nico Paech über Suffizienz
Prof. Dr. Niko Paech: „All you need is less – Bedeutet Suffizienz Verzicht?“
Vortrag auf Youtube 1h30
Bereits vor der Corona-Krise zeichnete sich ab, dass der Hyperkonsum und die überbordende Ausstattung mit materiellen Gütern ihre Schattenseiten haben: ökologisch sowieso, aber auch für jeden/jede einzelne/n. Warum sich nicht befreien von all dem Überfluss? Ballast abwerfen, sich dem Steigerungswahn entziehen, verführerische Komfortangebote links liegen lassen, das Vorhandene als auskömmlich betrachten und gegen aufdringlichen Fortschritt verteidigen, gemeinsam mit anderen den Mut zum Unzeitgemäßen entwickeln … – Dies alles kostet nichts, bedarf keiner innovativen Erfindung, ist nicht von Mehrheiten abhängig, verstößt gegen kein Gesetz und benötigt auch keines. Ein friedlicher und fröhlicher Aufstand der sich Verweigernden – besser noch: ein maßvoller Wohlstands- und Technologieboykott – als letzter Ausweg.
So die zentrale These und Ermutigung des Volkswirts Niko Paech, der als einer der bekanntesten Postwachstumsökonomen in Europa gilt. Er arbeitet als außerplanmäßiger Professor im Bereich Plurale Ökonomie an der Universität Siegen und ist Autor u.a. der viel zitierten Streitschrift „Befreiung vom Überfluss“. Unter dem Titel „All you need is less“ hat er jüngst zusammen mit Manfred Folkers ein Buch über die „Kultur des Genug aus buddhistischer und ökonomischer Sicht“ veröffentlicht.